Bettler haben nicht einmal die trostlose Aussicht auf eine Lohnarbeiterexistenz. Sie sind aus irgendwelchen Gründen zur Aufrechterhaltung einer „normalen“ Proletarierexistenz nicht (mehr) fähig – „durch das soziale Netz gefallen“, wie es euphemistisch heißt - oder von Haus aus – z. B. durch Ausländergesetze - davon ausgeschlossen. Wer zum Bettler wird und wer doch nicht, hängt völlig von den Anforderungen „der Wirtschaft“ an ihre Arbeiterschaft und des Staates an die eigenen und ausländischen Bürger ab. Arbeiter und Angestellte erhalten einen Lohn nur dann, wenn „die Wirtschaft“ ihre Arbeitskraft profitträchtig benutzen kann. Als permanent zu minimierender Kostenfaktor sorgt der Lohn ganz selbsttätig dafür, dass die Lohnabhängigen ein Leben lang zwar arm, aber „anständig“ bleiben, weil sie nicht aufs Betteln angewiesen sind – jedenfalls solange sie (halbwegs ausreichend) Lohn erhalten.
Mangels Lohnaussichten reisen Bettler in Gegenden, wo es überhaupt etwas zu erbetteln gibt, da man ja unter osteuropäischen Proletariern oder anderen Bettlern schlecht betteln kann. Auf öffentlichen Plätzen trifft dann besonders krasse Armut auf gewöhnliche, „normale“ Armut. Sowohl bei Bettlern, als auch Lohnabhängigen handelt es sich um – nichtbeschäftigte und beschäftigte - Proletarier. Das ist das Elend der Bettler und ihrer Spender!
Durch die Lautsprecherdurchsagen werden die inländischen Armen vor den ausländischen, ganz Armen gewarnt. Die paar Leute, die sich über die bettlerfeindlichen Lautsprecherdurchsagen beschweren, bekommen vom Kundendienst der Wiener Linien eine Antwort, die an Kundenfreundlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Mit dem Hinweis, dass durch "organisierte Bettlerbanden" "ohnehin schon Hilfebedürftige" ausgebeutet werden, soll gegen Bettler vorgegangen werden. Dabei ist doch allgemein bekannt, dass, wenn man irgendeine Tätigkeit ausübt, man es dann doch besser organisiert als unorganisiert tut. Man überlegt sich doch klugerweise vorher, was man wie zu tun hat und welche Schwierigkeiten man dabei bewältigen muss. Das erhöht ganz einfach die Effizienz - nicht nur beim Betteln.
In der Kundenmitteilung, die die aufdringliche Aussage nochmals rechtfertigt, wird betont, dass die Wiener Linien ihren Kunden "Ärger ersparen" möchten. Es wird denjenigen, die sich durch Bettler gestört fühlen, mit ihrer – aggressiven? - Durchsage in Wirklichkeit noch zusätzlich Recht gegeben; von der Gratiswerbung für "anerkannte Hilfsorganisationen" ganz zu schweigen. Die Betreiber wollen die U-Bahn "sauber" halten und dazu gehört auch nach Möglichkeit eine bettelfreie Zone.
Den "Hilfebedürftigen" wollen sie helfen, indem sie zur Hilfeverweigerung auffordern! Das Motto der "Hilfe" nach Art der Wiener Linien ist eher eine Drohung und lautet: Denen werden wir schon helfen! Diese verlogene und zynische Kritik der "organisierte Bettlerbanden" ist eine Folge der Antibettlerpolitik, die mit dem sog. Kinderbettelverbot radikalisiert wurde und die auch von den Wiener Linien exekutiert wird. Dabei wird in "gute" ("hilfebedürftige", schutzlose und ausbeutbare) und schlechte (bandenmäßige, osteuropäische) Bettler unterschieden, um im Namen der Ersteren gegen Letztere vorgehen zu können, womit auch Ersteren die "Arbeitsmöglichkeit" entzogen wird. Durch die Trennung in organisiert/ausländisch, daher schlecht und individuell/inländisch und daher in Ordnung gehend, soll das Bild von "unserem" Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sauber gehalten werden. Hilfsbedürftig und ausbeutbar darf man sein, da soll das Betteln noch irgendwie in Ordnung gehen. Armut ist erlaubt, die ist keine Schande, die darf sogar sichtbar sein, aber sobald die Armen zu irgendeiner gearteten Selbsthilfe ("Organisierung") greifen, wird die Geduld von Politik und Bürgern auf eine harte Probe gestellt.
Die Politik weiß sehr genau, dass ohne "Organisierung" das Betteln – zumal für Ausländer – praktisch nicht möglich ist. Das ist der erhoffte bettelpolitische Kollateralnutzen des ach so menschlichen Schutzes der "Hilfebedürftigen": Gibt’s keine "organisierten Banden" mehr, gibt’s keine Bettler mehr! Die Armut, die die Leute zu solchen Tätigkeiten nötigt und was sie in ihren Heimatländern dulden oder nicht, ist der hiesigen Politik wurscht – Hauptsache, sie bleiben dort. Dass es Bettler überhaupt gibt, ist offenbar die selbstverständlichste Sache der Welt.