Durch die fortwährende Hetze des Boulevards und unterstützt durch einzelne - persönlich bedingte - Ausnahmetaten, wie den kürzlichen Amoklauf eines psychisch Beeinträchtigten, wird ein Stadtraum als quasi zu "bereinigendes" Areal dargestellt. Der zukünftige Bürgermeister Ludwig (SP) versucht sich nun in einer an rechte Kreise anbiedernder Law-and-Order-Politik und setzt als erste konkrete Maßnahme tatkräftig ein öffentliches Alkoholverbot um den Platz und in der benachbarten Venediger Au durch.
Ausgrenzung für den Profit
Die Gegend um den Praterstern stellt sich derzeit in vielen Medienberichten als aufstrebendes, hippes Viertel mit kaufkräftigem Bevölkerungszuwachs dar und wirkt insgesamt auch sehr anheimelnd durch die grüne Umgebung sowie das eher vorstädtische Ensemble der Verbauung. Zudem ist der Praterstern als Eingang zum "Wiener Wurschtlprater" auch ein Tourismushotspot, der möglichst sauber und gepflegt wirken muss, um im internationalen Wettbewerb zu reüssieren.
Dass der Praterstern allerdings einen bedeutenden Verkehrsknotenpunkt - mit all seinen großstädtischen Vor- und Nachteilen - darstellt, wird bewusst ignoriert. Der kapitalistischen Verwertungslogik nach sollen in diesem „aufstrebenden Viertel“ Menschen, die nicht ganz der gesellschaftlichen Norm entsprechen, keinen Platz haben.
Ausgegrenzte Personengruppen wie Obdachlose, Suchtkranke und Geflüchtete, die oft ohne Perspektiven leben, suchen solche öffentlichen Stadträume zum Verweilen auf. Dort trifft man sich, tauscht Probleme aus oder fühlt sich einfach einmal nicht ausgegrenzt, sondern unter Gleichen. „Soziale Hotspots“ wie der Praterstern bieten die Möglichkeit, diesen Gruppen zu begegnen, ihnen Hilfe anzubieten und solche auch konkret zu leisten (wie durch WC-Jetons). Diese Aufgabe nimmt am "Stern" die Gruppe SAM mit ihrer – noch immer zu wenig dotierten - Sozialarbeit wahr.
Mit dem Alkoholverbot vor Ort sollen diese Gruppen nun aufgelöst und ins Private, Vereinzelte getrieben werden. Diesen realen Effekt zeigen Erfahrungen aus anderen Städten, wo solche Verbote bereits erlassen wurden.
Wohlgemerkt: Lt. den SozialarbeiterInnen vor Ort geht es um ca. 30 Suchtkranke und etwas mehr als 50 Obdachlose, die dort ihre Zeit verbringen! Wegen dieser 80 Menschen wird ein weitläufiges Alkoholverbot erlassen, sie sollen vertrieben werden.
Profit und Disziplinierung fürs System
Die Diskussion um den Konsum von Alkohol auf den freien Plätzen ist nur ein Aspekt der vielschichtigen Konflikte um den öffentlichen Raum einer Stadt. Die "Unerwünschten" der Städte, die sich Konsumation nur in eingeschränkter Weise leisten können, sollen verdrängt und damit aus den Augen geschafft werden. Wer an einem Gastro-Stand trinkt wird auch künftig am Praterstern nicht behelligt! Von dem Alkoholverbot real betroffene Menschen haben keine mächtige öffentliche Stimme um sich zu verteidigen und zu protestieren.
Öffentliche Räume (v.a. Bahnhöfe) sollen also nicht mehr Orte der Begegnung aller Gruppen von Menschen sein, sondern zu reinen Transit- und Konsumtempeln umgewandelt werden. Zugespitzt handelt es sich um einen Konflikt um die Stadt an sich, und zwar was sie leisten soll und kann! Den EntscheidungsträgerInnen geht es nicht um die Gesundheit der Menschen, nein, die öffentliche Ordnung muss in erwünschte Bahnen gelenkt werden.
Gerade in der Leopoldstadt ist der Hintergrund eine geförderte Entwicklung, auch der Vorstädte, profitablen Lebensraum für Spekulanten zu bieten. Wie schon bei der Wohnpolitik sollen finanzschwache Menschen verdrängt werden, um noch mehr Profit zu generieren. Insgesamt hat diese Entwicklung System, sie nennt sich schon seit langem "Gentrifizierung".
Tabubruch
Das Alkoholverbot stellt übrigens einen Tabubruch in Wien dar. Bis jetzt waren in der „Roten Stadt“ solch prohibitatorische Anliegen nur aus privaten Räumlichkeiten (wie U-Bahnen, Zügen, Einkaufszentren usw.) bekannt. Erstmals wird der Zugang zu öffentlicher Raum einer gewissen Gruppe von Menschen verschlossen. Diese zunehmende Privatisierung/Disziplinierung von öffentlichen Plätzen stößt also eine wichtige Diskussion an: "Welche Funktion haben Straßen und Plätze im öffentlichen Raum? Sollen sie allen – auch den Randgruppen - zur Verfügung stehen, oder nur denen, die sich wohlfeil konsumgerecht und unauffällig verhalten? Es geht dabei nicht um die notwendige Einhaltung von Gesetzen, sondern um eine Erziehungsmaßnahme für ein systemgerechtes Leben.
Widerstand: Ja! Aber richtig.
Rund um das Alkoholverbot am Praterstern gibt es nun einige aktionistische Veranstaltungen, die "solidarisches Biertrinken" propagieren. Diese Aktionen sind wichtig, aber auch oft von einem hippen, urbanen Geist getragen, der den echten menschlichen Problemen am Platz nicht gerecht wird. Diese Initiativen müssen die tatsächlich Betroffenen mit einbeziehen, sonst sind sie ohne die notwendige Wirkung.
Die KPÖ Leopoldstadt und PolDi meinen schon lange:
Keine Vertreibung von sozialen Gruppen aus dem öffentlichen Raum und damit der Wahrnehmung
Die Stadt muss für alle lebenswert sein, unabhängig der finanziellen Kaufkraft!
Soziale Unterstützung statt Disziplinierung am Praterstern!
Wehret den Anfängen! Eine Diskussion über ein Alkoholverbot im gesamten öffentlichen Raum kann die nächste Stufe der Eskalation bedeuten.
Sicherheit für alle kann nur durch soziale Sicherheit (günstiges Wohnen, sicheres Einkommen usw.) erkämpft werden.
Wir dürfen uns die Stadt nicht nehmen lassen, sie gehört uns allen! Wirklich anders kann es nur durch einen Politik- und Systemwechsel werden.
To be continued….
Info: Aktion von "Wien anders" zum Thema am Do., den 26.4. von 11-13h direkt am Praterstern. - Sei dabei, mach mit!
Querverweise:
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-05/alkoholverbote-oeffentlichkeit-bahn-innenstadt-folgen
https://kurier.at/chronik/wien/obdachlose-zieht-es-zum-praterstern/32.262.295
https://www1.meinbezirk.at/leopoldstadt/c-lokales/sozialarbeiter-der-praterstern-ist-nicht-gefaehrlich_a1974018
https://derstandard.at/2000036261286/Praterstern-Zwischen-Hotspot-und-konstruiertem-Angstraum
http://www.taz.de/!5064765/
https://mosaik-blog.at/der-wiener-praterstern-ist-er-noch-zu-retten/
Sowie die exzellente Diplomarbeit frei im Netz abzurufen: „Die Stadt der Exklusion - Prozesse und Mittel der Verdrängung aus öffentlichen Räumen der Stadt Wien“ von Glantschnigg, Christian:http://othes.univie.ac.at/16101/