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U-Bahn in die Schöne Neue Welt

von Walter Baier

Dienstag 13. Mai 2008, von PolDi

Wenn ich mit irgendeinem Platz auf der Welt ein Heimatgefühl verbinde, dann mit der Wiener Leopoldstadt und dem aus Augarten, Karmelitermarkt und dem Wurschtelprater gebildeten spitzen Dreieck. So war ich unter den ersten WienerInnen, die die bis zum Stadion verlängerte U-2 anschauen gingen. In knapp zehn Minuten von der Universität zum Praterstern fahren, ist fraglos cool. Dabei dutzende male von Kameras dokumentiert worden zu sein, schon etwas weniger. Und dass parallel mit dem neuen Fahrvergnügen der Oberflächenverkehr gekappt wurde, werden ältere MitbürgerInnen oder BesucherInnen des Krankenhauses des Barmherzigen Brüder auch nicht schätzen können.

Ein Stopp in der erweiterten U-Bahnhaltestelle Praterstern, wo sich nun die U-1, U-2 und die Schnellbahn kreuzen, erlaubt, den neu errichteten Bahnhof zu besichtigen. Die ein Jahrzehnt lang diskutierte Neugestaltung resultierte nun in zwei großen, verglasten Schachteln. In der größeren sind die Kassenhalle, die Wien weit bekannte Billa-Filiale (sieben Tage in der Woche bis 21 Uhr geöffnet), die üblichen Bahnhofsgeschäfte und der Aufgang zu den Zügen untergebracht, in der kleineren jedoch nicht kleinen Kubatur, befinden sich Aufzug und die Rolltreppen zu den U-Bahngleisen. Alles in allem entsteht der Eindruck, die Architektenteams von Bundesbahn und Verkehrsbetrieben wären erst nach der Fertigstellung drauf gekommen, dass ihre Bauten nebeneinanderstehen. Sowohl die Möglichkeit, Gehwege durch eine Integration zu verkürzen als auch, eine optische Einheit herzustellen, wurde nicht genützt.

Vom Architekturgeschmack und sozialen Sinn der sozialdemokratischen Stadtverwaltung berichtet auch der Eingangsbereich des Wurschtlpraters (Volksprater). Für 32 Millionen Euro ließ die Vizebürgermeisterin dort (ohne öffentliche Ausschreibung übrigens) eine im Pseudojugendstil hingeklotzte Kulissenfassade errichten. Der bombastische Kitsch, der so etwas wie Wiener Gemütlichkeit simulieren will, enthält neben einem Restaurant, dem Zugang zum Riesenrad, der die BesucherInnenen an einem überteuerten Souvenirshop vorbeileitet, das neue Wiener Lustspieltheater. Während in den vergangenen Jahren dutzende freie Bühnen aufgrund der Wiener Theaterreform verschwunden sind, wird hier ein Haus eröffnet, dessen einzige Legitimation in der politischen Opportunität des Intendanten besteht.

A propos Kultur, allein zwischen Bahnhof und dem Pratereingang hatte es früher mindestens vier frei benützbare Toiletten gegeben. Sie wurden ausnahmslos abgschafft und durch die von anderen Bahnhöfen bekannten elektronisch gesicherten pay-toiletts ersetzt, deren Benutzung 50 Cents (knapp sieben Schilling, alter Währung!) kosten. Sicherheit und Sauberkeit geben sich an dieser Stelle als das zu erkennen, was sie vornehmlich sind: Soziale Ausgrenzung. Dieser dienen auch blau uniformierte, im Dauereinsatz stehende Putzkolonnen, eine flächendeckende Video-Überwachung und die stets präsenten Uniformierten einer Security-Firma.

Zu Fuß unterwegs lässt sich erkennen, wie sehr die Stadtlandschaft Praterstern, Prater neues Messeglände bis zum Stadion und der jüngst eröffneten shopping mall, der über kurz oder lang die Geschäfte in der Taborstraße zum Opfer fallen werden, nun schnieke cleanische Welt des Neoliberalismus geworden ist, an deren Vergnügen teilzunehmen, ausschließlich von der zahlungsfähigen Nachfrage abhängt. Wohl deshalb ist es auch einzig der Straßenstrich, der die städtebaulichen Umgestaltungen unbeschadet überstanden hat.

Wer dem alten populären Vergnügungspark und seiner relativen Ungezwungenheit nachtrauert, in dem einander Welt und Halbwelt begegneten und — für einige Stunden zumindest — soziale Unterschiede verblassten, dem ist die U-1 in die entgegengesetzte Richtung zu empfehlen, das heißt der Böhmische Prater in Favoriten. Wer weiß aber wie lange noch. Der Bau des Wiener Zentralbahnhofs ist nämlich in vollen Gang.

P.S.

Walter Baier ist ehemaliger Vorsitzender der KPÖ und war bis 2003 Herausgeber der "Volksstimme".


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