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Stuwerviertel

Die Vertreibungen haben schon begonnen

Mittwoch 1. September 2010, von Doris Schlager

Dem Stuwerviertel wird eine große Zukunft vorausgesagt. In dem typischen Gründerzeitviertel wird aufgewertet, was das Zeug hält. Bezirksvorsteher Kubik, Stadtrat Ludwig, die Leopoldstädter ÖVP, sie alle kommen aus dem Sich-Selber-auf-die-Schulterklopfen gar nicht mehr heraus.

Die U2-Verlängerung, die Neugestaltung des Max-Winter-Platzes, der Umbau des Nordbahnhofes und die Neuerrichtung von Genossenschaftswohnungen - Gemeinde und Bezirk machen viel Geld locker, um diese Aufwertung zu erreichen. Das ehemalige Schmuddelkind der Leopoldstadt verwandelt sich in einen hippen Bobo-Bezirk. Schon jetzt steigen die Mieten dort so schnell wie in keinem anderen Viertel in Wien.

Solche Aufwertungen, von StadtforscherInnen Gentrifizierung genannt, verlaufen vor allem im angloamerikanischen Raum mit erschreckender Brutalität. Ganze Häuserzeilen und Viertel werden von Spekulanten aufgekauft, die ehemaligen MieterInnen vertrieben und durch kaufkräftigeres Publikum ersetzt. Danach werden die Häuser wieder mit enormen Gewinnen verkauft.

Auch im Stuwerviertel ist in der ersten Welle der Gentrifizierung ein Zuzug von KünstlerInnen und StudentInnen zu verzeichnen. Die Rasanz, mit der sich dieser Austausch vollzieht, lässt ihn den Medien als Musterbeispiel einer Gentrifizierung erscheinen. Da aber auch diese ersten NeubewohnerInnen selten mit einem dicken Geldbörsel gesegnet sind, müssen auch sie das Viertel relativ rasch wieder verlassen.

Höhere Mieten für mehr Profit

Im Gegenteil zu den üblichen Erklärungen führt Neil Smith in seiner "Mietlückentheorie" das Interesse eines Investors, Mietobjekte zu sanieren, ausschließlich auf die Lücke, die zwischen dem derzeitigen und dem erzielbaren Mietzins klafft, zurück. Angeblich fehle aber wegen des angeblich so guten Mietrechts hierzulande die aus New York und London bekannte Brutalität. Die Erfahrungen des KPÖ-Bezirksrates und Leiters des MieterSelbsthilfeZentrums Josef Iraschko sind jedoch andere.

Eine "Mietlücke" ist in Österreich 1994 durch den Übergang von gesetzlich festgelegten Mieten zu den sogenannten Richtwertmieten entstanden, deren zulässige Höhe im Gesetz gefährlich ungenau definiert wird. Alleine durch die Vertreibung der AltmieterInnen kann eine Mietzinssteigerung von mehreren Euro/m² erzielt werden. Dass der Kündigungsschutz durch die Befristungsmöglichkeiten unterlaufen werden kann, tut sein Übriges.

Der Druck auf die MieterInnen steigt

In mit Steuergeldern aufgewerteten Vierteln gehen die Spekulanten mit allen Mitteln gegen die AltmieterInnen vor. Der Hinweis auf die – von anderen bezahlte – gute Lage rechtfertigt enorme Extraprofite. Sie haben dabei im Stuwerviertel mit dem bekannt unterdurchschnittlichen Einkommen der BewohnerInnen ein leichtes Spiel. Ein soziales Netz, das immer reißt, wenn es gebraucht wird, führt schnell zu Mietzinsschulden.

Überdies sind die Lügen und Drohungen der neuen EigentümerInnen und Hausverwaltungen bei Menschen mit geringem Einkommen besonders wirksam. "Beliebt" sind die wahrheitswidrigen Behauptungen, der Vermieter könne die Miete nach der Sanierung ohne weiteres verdreifachen oder die neuen EigentümerInnen könnten ohne Umschweife Eigenbedarf anmelden. Wenn alles nichts hilft, werden auch gerne einmal 5-stellige Beträge für die Aufgabe der Mietrechte angeboten.

Es ist offensichtlich, dass die Investitionen der Gemeinde Wien in benachteiligte Stadtviertel wie das Stuwerviertel, aber auch am Gürtel oder beim Brunnenmarkt, nicht den dort lebenden MieterInnen zu Gute kommen. Das Geld landet fast ohne Umwege in den Taschen der VermieterInnen.

P.S.

Rat und Hilfe bei Wohnungsproblemen aller Art bietet das MieterSelbsthilfeZentrum: mieterselbsthilfe@kpoe.at bzw. 01/480 88 83.


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