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„Arbeiten gehen“ macht frei

Freitag 11. September 2009, von Kosmonaut

Eine ausgewogene Meinung ist dann gegeben, wenn man Hetzer und ihre Kritiker gleichermaßen zu Wort kommen lässt, das dachte sich wohl ein Wiener Bezirksblatt. In der Beilage der Leopoldstädter Bezirkszeitung „bz“ vom 9. 9. 09, bemüht die Bezirks-FPÖ einen Schlager, der sowohl im Faschismus, als auch in der Demokratie gleichermaßen Zustimmung findet, womit sie die Titelseite mit der Headline „Gegen Hetzparolen!“ und die Vorstellung der Aktion „Rassismusfreie Leopoldstadt“ ganz im Sinne des Meinungspluralismus konterkariert. Die übliche Ausländerfeindlichkeit wird durch eine Hatz auf Linke, genauer auf Leute, die in Bauhütten auf einem Wagenplatz leben, ergänzt. „Die Camper sollen arbeiten gehen und sich mit dem verdienten Geld um eine Wohnung kümmern, anstatt sich auf Kosten der Steuerzahler ein lustiges Leben zu machen“, empfiehlt der FP-Bezirksrat Seidl den Wagenplatzbewohnern, die vorübergehend im 2. Bezirk campieren.

Einen Arbeitsplatz zu haben, „arbeiten gehen“ zu können sei das größte Glück, dass einem Durchschnittsmenschen passieren kann, heißt es allenthalben. In Wahlkämpfen wird die Sicherung und Schaffung von neuen Arbeitplätzen als DAS zentrale Angebot an das Wahlvolk propagiert, was von den Wählern ebenso gesehen und honoriert wird.

In der kapitalistischen Gesellschaft ist ein Arbeitsplatz tatsächlich die Voraussetzung, seine Bedürfnisse befriedigen zu können und zwar deswegen, weil sämtliche Bedürfnisbefriedigung nur gegen Geld zu haben ist und man ausschließlich an einem Arbeitsplatz das dafür notwendige Geld verdienen kann. Der Witz dabei, der niemandem auffallen will, ist: Diese Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die Leute erst einmal von allen Lebensmitteln getrennt, d. h. enteignet sind und sie dann einen Platz angeboten bekommen, wo sie sich das Geld verdienen können, um sich die notwendigen Lebensmittel kaufen zu können. Ob sie einen Arbeitsplatz bekommen hängt auch nicht von ihrem, ihnen aufgezwungenen Geldbedürfnis, sondern von der Profitaussicht der wirklichen Arbeitsplatzbesitzer ab. Wer die Arbeitsleistung nicht erbringt oder erbringen kann, ist von (Ver-)Hungern und Obdachlosigkeit bedroht, denn die Frage des (Über-)Lebens ist von der Summe Geldes abhängig, über die einer verfügt. Dieses „Schicksal“ droht den Arbeitenden ein Leben lang, dafür sorgt schon das Damoklesschwert in Form des Lohns. Am Geld gehen grundlegende Bedürfnisse auf oder zuschanden. Dieser Aberwitz funktioniert, weil die Leute die erpresste Notlage als Selbstverständlichkeit betrachten anstatt Kritik hervorzurufen. Nur so erscheint ihnen dann ein Arbeitsplatz als Glücksfall. „Arbeiten gehen“ macht dann so frei, „sich mit dem verdienten Geld um eine Wohnung kümmern“ zu können.

Indem nun Seidl das „arbeiten gehen“ als die Drohung ausspricht, die es ist, kehrt er um, was ansonsten von allen Parteien und der Öffentlichkeit als Glück gepriesen wird und spricht damit ein Stück Wahrheit aus. Es ist tatsächlich ein Pech und kein Glück einen Arbeitsplatz haben zu müssen. Wer „arbeiten gehen“ muss, ist nicht zu beneiden, das weiß auch jeder Bürger und versucht sich an die gesellschaftliche Zwangslage anzupassen. „Arbeiten gehen“ ist das Gegenteil eines „lustigen Lebens“, da hat Seidl Recht, aber sein Hinweis auf die Wirklichkeit ist keine Kritik solch brutaler Zustände, denn wenn „arbeiten gehen“ angenehm wäre, braucht man es niemandem empfehlen. Das wünscht man nicht seinen Freunden, sondern seinen Feinden an den Hals!

Das Angebot Seidls ans Wahlvolk lautet: Euch geht’s beschissen, weil ihr „arbeiten gehen“ müsst. Daran will ich gar nichts ändern, aber ich setz mich dafür ein, dass es anderen auch schlecht gehen soll! Was für euch gilt, soll auch für andere gelten, die sollen auch kein „lustiges Leben“ haben! Wenn nötig, mit Zwang. Die Mär von den Steuerzahlern, also von den Leuten, die „arbeiten gehen“ und auf deren Kosten die Camper angeblich ein „lustiges Leben“ führen, gibt der Hetze den letzten Schliff. Er kann sich darauf verlassen, dass das Wahlvolk lieber gegen diejenigen vorgeht, die angeblich nicht so beschissen leben, wie sie selbst, als gegen die Zustände, die das „arbeiten gehen“ so ungemütlich machen.

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