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Defensive Architektur - was ist das? Baustelle Praterstern.

Montag 12. Dezember 2022, von Nici, Sophie Apfler

Kurz vor Beginn der Planungsphase für die Neugestaltung des Pratersterns: Die KPÖ Bezirksrät:innen Sophie Apfler und Josef Iraschko bringen eine Resolution gegen defensive Architektur im Bezirksparlament ein. Diese wird mit großer Mehrheit angegenommen und sollte damit zumindest im 2. Bezirk ihre Wirksamkeit finden! Wer sich aber an das Debakel um die Venediger Au erinnert weiß, dass sich die rote Bezirksvorstehung nicht an die von ihnen beschlossenen Resolutionen hält. Ganz im Stil "was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern" startet die SPÖ mit der Planung und Umsetzung der Baustelle am Praterstern. Spätestens seit der Eröffnung im Herbst 2022 ist deutlich festzustellen: Hier gibt es defensive und vertreibende Architektur.

Was ist defensive Architektur?

Andere Begriffe dafür sind hostile architecture, hostile design oder Anti-Obdachlosen-Architektur. Darunter werden verschiedene Formen der architektonischen Gestaltung verstanden, die abschreckende bzw. abwehrende Wirkung gegen bestimmte Personen oder Personengruppen haben sollen. Ganz offensichtlich ist das bei kleinen metallenen Spitzen, Kugeln oder Stacheln, die bei Hausnischen angebracht sind.

Solche und andere extreme Maßnahmen können vor allem in den USA beobachtet werden. Die Metallgegenstände verhindern, dass sich am regengeschützten Ort jemand aufhalten oder übernachten kann. In Österreich sind vor allem die mit Armlehnen unterteilten Sitzbänke (zB an Haltestellen der Wiener Linien) sichtbar.

Verantwortliche argumentieren meist damit, dass die Armlehnen alte oder schwangere Menschen beim Aufstehen unterstützen. Tatsächlich geht das Konzept allerdings auf eine weit verbreitete Maßnahme zurück, die obdachlose Personen vom Schlafen auf den Sitzbänken abhalten soll.

Geschichtlicher Hintergrund

In den 1970er-Jahren wurde vor allem in den USA damit begonnen, defensive Architektur zur Abwehr bzw. Verminderung von Kriminalität einzusetzen. Personen, die für potenziell kriminell gehalten wurden, sollten von schlecht einsehbaren Orten ferngehalten werden. Dabei wurden speziell BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) in den Fokus genommen. Gemeinsam mit der broken-windows-theory wurde versucht, gegen Kriminalität vorzugehen. Die broken-windows-theory besagt, dass eingeschlagene Fenster in einem Stadtteil zu mehr Kriminalität führe. Dass Kriminalität allerdings nicht beseitigt wird, indem die scheinbar oder tatsächlich kriminell handelnden Personen in andere Stadtteile vertrieben werden, ist klar. Genausowenig wird in den österreichischen Städten die Zahl der obdachlosen Personen verringert, wenn sie weniger Plätze zum Schlafen im Freien haben.

Wir sind alle gemeint

Defensive Architektur richtet sich allerdings nicht nur gegen kriminelles Verhalten oder obdachlose Menschen. Auch Kantenschutz aus Metall oder Hartgummi an Bänken oder Stufen soll abschrecken – nämlich Skater*innen.

Einfache Ornamente – scheinbare Verzierungen – auf Steinpollern, die als Abgrenzung dienen, hindern alle Menschen daran, sich darauf zu setzen. Mistkübel mit abgeschrägtem Aufsatz, damit man nichts darauf ablegen kann, sowie
Sitzbänke mit abgeschrägter Sitzfläche oder runde bzw. eiförmige Sitzsteine, wie wir sie seit einigen Monaten am Praterstern bewundern können, hindern nicht nur daran, darauf zu schlafen, sondern sogar, darauf zu sitzen. Nur kurzes Rasten scheint erlaubt, dann wird es zu unbequem.

Es wird also verhindert, dass sich Menschen dort allzu lange aufhalten. Aber warum? Nicht zufällig, weil große Teile des Pratersterns Räume ohne Konsumpflicht sind? Ein Schelm, wer Böses denkt.

Verbesserungsvorschläge

Aber was wären nun Möglichkeiten positiv gegen defensive Architektur vorzugehen? Bei unserer Recherche entdeckten wir beispielsweise eine Gruppe in Vancouver, die Parkbänke mit faltbaren Dächern bereitstellt. Diese „Pop up shelter“ schützen vor Regen und starker Sonneneinstrahlung und können mit einem einfachen Handgriff wieder zur normalen Parkbank umfunktioniert werden. Weiters entdeckten wir eine auf Schienen montierte Parkbank, welche durch diese Funktion nach belieben verschoben werden kann. Zum Beispiel kann sie bei Regen unter eine Überdachung gestellt werden. Neben diesen zwei positiven Beispielen fanden sich noch Parkbänke, die zu Tischen umfunktioniert werden können oder durch Solarzellen Handys oder Computer aufladen können.

Diese Umsetzungen bedürfen weder großem Ideenreichtum noch horrender Kosten. Das Einzige, was benötigt werden würde um Wien zu einer inklusiveren Stadt zu machen, wäre der Wille der Politik.

Wir können es uns aussuchen entweder vertreiben wir bestimmte Personengruppen so lange, bis es zu einer sogenannten "Ghettobildung" an den Stadträndern kommt, oder wir kümmern uns durch verstärkte Hilfsangebote und einladende Architektur um eine inklusive Gesellschaft in der alle ihren Platz haben und in der niemand ausgestoßen ist.

Auch wenn Wien im Gegensatz zu anderen Städten noch sehr verdeckt defensive Architektur anwendet bedeutet dies nicht, dass keine Verschärfung dahingehend zu beobachten ist.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um gegen diese ausschließende Politik vorzugehen. Der Resolutionsantrag in der Bezirksvertretung war ein Versuch im Bezirk gegen diese menschenverachtenden Machenschaften vorzugehen. Auch wenn es nicht den gewünschte Erfolg gebracht hat, werden wir weiter auf diese Problematik hinweisen und an Verbesserungen dahingehend arbeiten. In der nächsten Sitzung werden wir einen Antrag für die erste inklusive Sitzbank in Wien einbringen.


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