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Eine emotionale Diskussion über Arbeitslosigkeit

Großer Andrang beim Roten Montag zum Thema "AMS - Vom Zwangskurs zur Hilfsarbeit"

Samstag 3. Dezember 2011, von Nikolaus Lackner

Die KPÖ Leopoldstadt & PolDi hatten für 21. November zu einem Roten Montag mit dem Thema "AMS - Vom Zwangskurs zur Hilfsarbeit" eingeladen. Wie schon bei den vorangehenden Roten Montagen war das Café Sperlhof bis auf den letzten Platz gefüllt, es herrschte großer Diskussionsbedarf. Fast vier Stunden lang wurden unter reger Anteilnahme viele Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Arbeitslosen besprochen.

Viele TeilnehmerInnen waren oder sind selbst direkt von Arbeitslosigkeit betroffen. Daher flossen zahlreiche Beispiele aus dem wirklichen, harten Leben der Arbeitslosenwelt mit in die Debatte ein. Neben Melina Klaus,
Bundessprecherin der KPÖ, den ArbeitslosenvertreterInnen der
Initiativen AMSand, Altes Eisen und Aktive Arbeitslose sowie Gernot Mitter, Mitglied des Landesdirektoriums des AMS für die AK, nahm auch Ministerialrat Josef Horvath vom Sozialministerium an der Diskussion teil. Moderiert wurde der Abend Gerald Grassl, dem Sprecher des "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt".

AMS-Akte dicker als Stapo-Akt

Grassl schilderte eingangs seine persönlichen Erfahrungen mit dem AMS. Er wies unter anderem darauf hin, dass jede/r Arbeitslose sich mittels Formbrief alle Daten ausheben lassen kann, die über ihn beim AMS gesammelt wurden. In Grassls konkretem Fall ergab das einen Stapel Papier von 88 Seiten, prall gefüllt mit Informationen aller Art, vieles davon auch "ausgewiesener Schwachsinn", so Grassl. Er riet jedem/r, diese Daten beim AMS anzufordern. Als besonders bezeichnend
empfand Gerald Grassl den direkten Vergleich mit einer Einsicht in seinen Stapo-Akt vor einigen Jahren - dort hatten drei Seiten ausgereicht, um alle über ihn gesammelten Informationen zusammenzufassen. Dies alles stehe in Zusammenhang mit aktuellen Bestrebungen, dem AMS die Zugriffsrechte auf weitere Datenbestände zu sichern, wovor im Sinne des Datenschutzes dringlich zu warnen sei.

Weiters führte Grassl in der Einleitung aus, welche Themenkomplexe für ihn Anstösse waren, sich eingehender mit dem AMS zu beschäftigen. Zum Einen die langjährige Forderung des "Werkkreis Literatur der Arbeits(losen)welt", endlich eine Aufarbeitung der Geschichte der Arbeitsämter im dritten Reich durchzuführen. Zum zweiten vermutet Grassl bei den sprunghaft angestiegenen Suiziden in Österreich (von 1400 auf 1700) Verbindungen zur häufigeren Streichung von Notstandshilfen. Beide Themenkomplexe illustrierte er anhand zweier
Einzelfälle.

Österreich bei Nettoersatzrate Schlusslicht in der EU

Vor einer ersten Fragerunde schickte Gernot Mitter voraus, das er eine pauschale Verunglimpfung von AMS-Mitarbeitern nicht dulden werde und forderte von allen DiskussionsteilnehmerInnen ein, sich nicht pauschal auf untergriffige Art und Weise über die 4000 MitarbeiterInnen zu äussern.

Die erste Frage aus dem Publikum lautete: "Wie war es möglich, dass in zwanzig Jahren die Rechte der Arbeitslosen so sehr beschnitten wurden? Was macht die AK an Initiativen rund ums AMS?"

Mitter brach in seiner Antwort erneut eine Lanze für die MitarbeiterInnen. Das seien alles engagierte Leute, von denen etwa 1500 in der direkten Betreuung von Arbeitslosen arbeiten würden. Als konkretes Beispiel nannte er einen Vergleich: Während in Großbritannien ein Betreuer etwa 70 Klienten betreuen würde, wären es in Österreich 250. Auch sei die tägliche Arbeit der BetreuerInnen geprägt von vielen persönlichen Elendserfahrungen. Als konkrete Initiative führt Mitter den Plan des AK Präsidenten Tumpel an, eine Reform des Partnereinkommens in der Notstandshilfe zu erwirken. Überhaupt sei die Notstandshilfe DAS Kernthema der AK. Mit 55 Prozent Nettoersatzrate seien wir Schlusslichter innerhalb der EU.

Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung

Tatsächlich, so Mitter, sei seit 1995 der Druck auf die Arbeitslosen gestiegen. Besonders angestiegen sei das Entziehen von Leistungen. Auch sei eines der Probleme die sogenannte "Dequalifizierende Vermittlung", die bei uns schon seit längerem weitaus restriktiver gehandhabt wird als innerhalb des deutschen Hartz-IV Systems.

In weiterer Folge zählte Mitter auf, was die AK alles ins Arbeitslosenrecht hineinverhandelt hätte.

Ein zusätzliches Problem sieht Gernot Mitter in der Arbeitszeitverteilung. Die, die Arbeit haben, haben zuviel davon, während andere gar keine haben. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen sei immer leiser geworden in den letzten Jahren, würde aber ein probates Mittel abgeben, die Arbeit gerechter im Land zu verteilen.

Schuldsvermutung statt Unschuldsvermutung

Mitter betonte überdies,dass das Arbeitslosengeld eben kein Bedingungsloses Grundeinkommen sei, sondern eine Solidarversicherung zum finanziellen Ausgleich. Der durchschnittliche Satz beträgt derzeit 26 Euro pro Tag und etwa 20 Euro pro Tag in der Notstandshilfe.

Dr. Mitter wies darauf hin, dass 2007 bis 2010 ein weiterer massiver Anstieg von Sperren stattgefunden hat.

Gerald Grassl sah ein Hauptproblem in der Judikatur: Denn während bei allen anderen Rechtsfällen die Unschuldsvermutung gilt, kommt es bei Arbeitslosen zu einer Umkehr. Zuerst wird der Bezug gestrichen und dann müsse man im Nachhinein beweisen, dass dies zu Unrecht geschehen ist.

AMS-Auslagerung zugunsten privater Profite

Nikolaus Lackner warf ein, das AMS habe im Laufe der Jahre große Teile seiner Services an private Unternehmen ausgelagert, die damit
einerseits hohe Profite erwirtschaften und andererseits (wie die Leiharbeitsfirma Trenkwalder) Arbeitslose in prekäre Beschäftigungsverhältnisse vermittelt, die unter dem KV entlohnt würden. Die Differenz bleibe wiederum dem Überlasser als Profit.

Gernot Mitter zeigte sich ebenfalls unglücklich mit diesem "Outsourcing". Für ihn wäre die richtige Antwort ein personell leistungsfähigeres AMS.

In der darauf folgenden Runde erzählten viele Betroffene aus ihren Erfahrungen. Die Themen "Ausbildung" (Die fallweise abgebrochen werden muss) und "geschützte Bereiche" im Arbeitsmarkt, also jene ohne Fluktuation (Beamte etc.), werden angesprochen. Auch von Gerüchte ist die Rede, nach denen massiver Druck auf Ärzte ausgeübt werde, die Arbeitslose krankschreiben. In der teils etwas unübersichtlichen Diskussion wurde weiters der Vorwurf laut, es
werde durch das AMS ein "Keil in die Arbeiterschaft getrieben" und anderseits man motiviere Unternehmer, weiter "auszulagern und
abzucashen".

Ein Vertreter der Initiative "Aktive Arbeitslose" bezog sich in seiner Wortmeldung auf das ALVG. Grundsätzliche Gesetze würden nicht beachtet, ebensowenig wie Wert auf die Bedürfnisse des Einzelnen
gelegt werde.

Gernot Mitter lud alle Anwesenden ein, am 12. Dezember um 9 Uhr an einer Enquete im Bildungszentrum der AK in der Theresianumgasse teilzunehmen.

Freiräume für Verbesserungen sind kaum gegeben

KPÖ-Bundessprecherin Melina Klaus wies in ihrer Wortmeldung auf die Grundabsicherung hin. Auch sehe sie nicht, inwieweit man die Wahl der Anbieter beeinflussen könne, oder wie man "neue Qualitäten" schaffen könne.

In seiner Antwort meinte Mitter, "Die Freiräume seien ziemlich eng
geworden" und bezieht sich auf die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten. Auch fehle derzeit jegliches "Risikokapital", mit dem man neue Dinge ausprobieren könnte. Man sei schlicht "nicht gut aufgestellt".

Ein Teilnehmer kritisierte, dass es keine sinnvollen Beschwerdemöglichkeiten beim AMS gibt, worauf Gernot Mitter die Volksanwaltschaft als solche empfahl.

AMS arbeitet Nationalsozialismus auf

Ministerialrat Josef Horvath (Leiter der Sektion Arbeitsmarkt im
Sozialministerium) ergriff ebenfalls das Wort. Er brachte "die frohe Kunde, dass nun endlich an einer Vorstudie über die Arbeitsämter in der Nazizeit gearbeitet" werde. Er nimmt das AMS in Schutz vor Angriffen wegen der Vergangenheit. Man sei nun "auf der Reise" und er bitte um Mäßigung im Umgang mit den Begriffen "faschistisch" und "faschistoid".

Mit Empörung reagierte darauf Gerald Grassl, der in dieser Aussage eine Weigerung des AMS erkennen wollte, wie andere Körperschaften auch
Verantwortung als Nachfolgeorganisation zu übernehmen. Nach anfänglicher Empörung freute sich Grassl dennoch darüber, dass die langjährige Forderung nach Aufarbeitung endlich Früchte trägt.

Gernot Mitter formulierte als Ziel für die Zukunft die Vision eines Raumes, in dem Arbeitslose und Mitarbeiter des AMS zu Dialogen zusammentreffen könnten. Tatsächlich seien aber in der Vergangenheit alle Versuche, solchen Dialog aufzubauen, gescheitert.

Mitsprache und Demokratie durch Arbeitsloseninitiativen

Im zweiten Teil des langen Diskussionsabends widmeten sich die TeilnehmerInnen dem Thema "Demokratie und Mitsprache".

Erneut tauchte die Frage nach einer Möglichkeit auf, von der Schuldvermutung gegenüber Arbeitslosen wegzukommen. Weiters wurde diskutiert, wie die "fluktuierende Arbeitslosenschaft" überhaupt zu erreichen sei, denn das sei keineswegs eine homogene Gruppe. Bisherige Versuche brachten nicht den gewünschten Erfolg und wurden abgebrochen.

Mitter kritisierte, "dass die (Arbeitslosen-)Initiativen stocken." Er sehe "kein Momentum, keine Fortschritte." Danach gab er einen kurzen Ausblick auf das Jahr 2013, in dem weitere Reformen beim AMS greifen werden. Da gebe es noch viel aufzuklären, vielen sei nicht bewusst, was
da auf uns zukomme.

Auch kritisierte Gernot Mitter, dass es innerhalb des AMS nur eine "rote Karte" und keine "gelbe Karte" gebe. Eine Möglichkeit der Verwarnung vor Entzug der Leistungen fehle völlig. Dabei würden aber ein Viertel der Bescheide, die beeinsprucht werden, aufgehoben.

Eine Vertreterin von AMSand erzählte aus ihrem Ehrfahrungsschatz aus der Teilnahme von ArbeitslosenvertreterInnen an Diskussionen. Es sei zu Wegweisungen durch die Polizei gekommen, man habe auch Probleme mit Securites gehabt. Generell habe man überhaupt keine Freude mit der Teilnahme von Arbeitslosen. Die Dame sprach von zunehmender Verrohung und Gewalt.

Aufruf für mehr politisches Bewusstsein

Zum Schluss merkte Gernot Mitter an, er sehe keinerlei politisches Bewusstsein bei weiten Teilen der Arbeitslosenschaft, viele seien auch keine "Demokraten im Herzen". "Wenn überhaupt, dann wählen sie den
Strache", so Mitter.

Die Diskussion endete nach 23 Uhr nach langem und intensivem Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Einzelne Diskutanten blieben
allerdings noch weit länger im Café Sperlhof.


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