Sie kämpfte für die gleichen Rechte und Möglichkeiten der Frauen und Kinder. Ihr Engagement und ihre Kreativität als Architektin hat sie auch im Bund Demokratischer Frauen Österreichs und im Österreichischen Friedensrat entfaltet. Zwanzig Jahre war sie Präsidentin (1948–1969), danach Ehrenpräsidentin des BDFÖ, seit 1948 war sie Vorstandsmitglied des Friedensrates.
In ihrem Buch „Erinnerungen aus dem Widerstand“ stellt sie einem Kapitel ein Zitat Pablo Nerudas voran: „Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind.“ Dieses Zitat passt genau auf Grete Schütte-Lihotzky. Ihr ganzes kämpferisches Leben zeigt eindrucksvoll, dass sie trotz aller Schwierigkeiten mit wachen Augen durchs Leben ging. Grete Lihotzky hat sich als einzige Studentin unter lauter Männern beim Architekturstudium von den Vorurteilen ihrer Kollegen nicht beirren lassen. Auch der grausame Terror der Nationalsozialisten, die sie vier Jahre eingesperrt hatten, hat sie nicht blind werden lassen für den notwendigen Kampf gegen Faschismus, Krieg und für ein Menschen würdiges Leben.
Am 23. Jänner 1897 wurde Grete Lihotzky in Wien in einer bürgerlichen Familie geboren, die liberal und offen für soziale Fragen war. In ihrer Jugend hatte man den Frauen außerhalb der Familie wenig zugetraut. In der Monarchie hatten Frauen noch kein Wahlrecht. Obwohl ihr Vater meinte, dass niemand einer Frau ein Haus zu bauen anvertrauen würde, war sie entschlossen, Architektur zu studieren. Von 1915 bis 1919 besuchte sie die Kunstgewerbeschule, später die Hochschule für angewandte Kunst und absolvierte als erste Frau das Architekturstudium. Sie wollte an einem Wettbewerb für Arbeiterwohnungen 1917 teilnehmen. Ihr Professor Strnad riet ihr, bevor sie einen Strich mache, solle sie sich ansehen, wie die Arbeiter wirklich leben. Sie war entsetzt über das große Wohnungselend, das sie dort sah. Nicht selten lebten acht Menschen in einem Raum, viele Kinder hatten kein eigenes Bett. Es gab damals 90.000 Obdachlose, darunter 20.000 Kinder.
Die erste Architektin Österreich erhielt schon vor ihrer Diplomierung eine Reihe von Auszeichnungen, 1920 einen Preis für eine Schrebergartenanlage, der sie in Kontakt mit der Siedlerbewegung brachte. Sie meinte: „Meiner Kenntnis nach war dies der einzige Verband, durch den von unten her ein Massenbau entstanden ist. Bedingt war die Entstehung alleine durch eine ungeheure Wohnungsnot, die es in Wien damals gegeben hat.“ Mit ihrem Mentor Adolf Loos arbeitete sie ab 1922 für die „erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs“ und im Baubüro der Siedlung Friedensstadt am Lainzer Tiergarten.
Im März 1926 berief sie Architekt Ernst May, begeistert von ihrer Arbeit in Wien, ins Frankfurter Hochbauamt. Dort beschäftigte sie sich in der Typisierungsabteilung mit der Rationalisierung der Hauswirtschaft. Sie entwarf auch Einrichtungen für Kindergärten und Wohnungstypen. Dort entstand auch die berühmte „Frankfurter Küche“. Genau errechnete sie, wie bei einem Minimum an Platz ein Maximum an Komfort für die Hausarbeit Kräfte sparend verrichtet werden könnte. In Frankfurt heiratete sie den Architekten Wilhelm Schütte.
Für die Wiener Werkbundsiedlung (1930–1932) entwarf sie zwei Reihenhäuser mit je 32 Quadratmeter Grundfläche. Mit Ernst May und einer Gruppe von 17 Architekten ging das Ehepaar Schütte 1930 nach Moskau um an den neu zu gründenden Städten mitzuwirken. Sie wurden nach Magnitogorsk in den südlichen Ural geschickt. Bei ihrer Ankunft waren dort nur Lehmhütten und Kasernen. Die Planzahl sah in den nächsten Jahren 200.000 Einwohner vor. Als Leiterin der Abteilung Kindereinrichtungen plante sie Typenprojekte für Krippen, Kindergärten, Klubs u.v.a. Außerdem hielt sie Kurse zur Qualifizierung der Mitarbeiter. 1934 bis 1936 entwarf sie in Moskau Kindermöbel und erstellte gemeinsam mit Ärzten und Pädagogen ein Möbelprogramm für den Wohnbau zusammen.
1933 stellte Grete Schütte-Lihotzky ihre Arbeit bei der Weltausstellung in Chicago aus. Das Ehepaar Schütte verließ 1937 die Sowjetunion. Nach einem Aufenthalt in London und dann in Paris fuhren sie schließlich 1938 nach Istanbul. Dort arbeitete sie in der Akademie de Beaux Art, wo sie vor allem Schulbauten entwarfen.
In Istanbul lernteGrete den Architekten Herbert Eichholzer kennen, der sich bemühte, die Verbindung zum kommunistischen Widerstand in Österreich herzustellen. 1939 trat Grete der illegalen KPÖ bei und reiste im Dezember 1940 zusammen mit Eichholzer aus dem sicheren Ausland nach Wien, um die Verbindung mit dem Widerstand aufzunehmen. Sie war entschlossen, den Widerstand gegen das grausame Naziregime zu unterstützen. Sie meinte, sie sei sehr geeignet für die Aufgabe als Kurierin, denn sie habe eine Schwester in Österreich und als „Arierin“ nichts zu befürchten.
Am 22. Dezember 1941 wurde sie bei einem Treffen mit Erwin Puschmann, dem Leiter des kommunistischen Widerstands, verhaftet. Beim Prozess vor dem Volksgerichtshof wurden 1943 Puschmann, Eichholzer, Sebek und die anderen „Verschwörer“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Todesurteil von Grete wurde mit Hilfe ihres Gatten Wilhelm Schütte durch eine geschickte Fälschung eines offiziellen Briefes aus der Türkei in 15 Jahre Gefängnis und Ehrverlust umgewandelt.
Nach der Befreiung musste sie ihre Tuberkulose ausheilen, baute dann in Bulgarien fünf Kindergärten und Krippen und kehrte 1947 nach Wien zurück. Ihr Traum, am Aufbau Österreichs als Architektin mitzuwirken, hat sich trotz der vielen Kriegszerstörungen nicht verwirklicht. Weil sie Kommunistin blieb, bekam sie kaum öffentliche Aufträge, bis auf zwei Wohnhäuser und zwei Kindergärten in Wien. Sie konnte in dieser Zeit nur einige private Häuser entwerfen und arbeitete als Beraterin in China, Kuba und der DDR.
1948 gestaltete sie eine Ausstellung der Internationalen demokratischen Frauenföderation (IDFF) in Paris. 1953 bis1956 plante und baute sie gemeinsam mit Wilhelm Schütte, Fritz Weber und Karl Eber die Druckerei und das Verlagsgebäude des Globus. 1977 wurde sie mit der Joliot-Curie-Medaille des Weltfriedensrates ausgezeichnet.
Erst im hohen Alter hat auch ihre Heimat die große Architektin anerkannt und sie bekam viele Auszeichnungen und Ehrungen. 1980 empfing sie den großen Architekturpreis der Stadt Wien. Weitere Preise und Ehrungen folgten: 1985 erhielt sie die Prechtl-Medaille der TU Wien, sie wurde Ehrendoktorin mehrerer Universitäten. 1985 wurde ihr das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen, das sie zunächst verweigerte, weil sie vom Bundespräsidenten Waldheim wegen dessen zweifelhaften Verhaltens zu seiner Kriegsvergangenheit nicht entgegennehmen wollte. Erst unter Bundespräsident Klestil und Minister Scholten nahm sie dieses Ehrenzeichen an. Das MAK widmete ihr 1998 eine große Gesamtausstellung „Margarethe Schütte-Lihotzky: Soziale Architektur – Zeitzeugin eines Jahrhunderts“. Bei der Eröffnung ließ es sich Grete nicht nehmen, die Honoratioren persönlich durch die Ausstellung zu führen.
Zu ihrem 100. Geburtstag fand im MAK eine überwältigende Geburtstagsfeier statt. Alles, was Rang und Namen in Wissenschaft, Kultur und Politik hat, überbrachte Geburtstagswünsche. Das Frauenorchester spielte auf, und Bürgermeister Häupl tanzte einige Takte Walzer mit der Jubilarin. Bei den verschiedensten Ehrungen und Geburtstagsfeiern wurde von führenden Politikern und Architekten immer wieder das Bedauern ausgesprochen, dass Österreich auf die Talente dieser außerordentlichen Frau verzichtet hatte.
Im November 1999 wurde ein Film über ihre „Erinnerungen aus dem Widerstand“ hergestellt. Regisseurin war Susanne Zanke. Die Erlebnisse im Gefängnis, die große Solidarität unter den Frauen und die mutige Haltung ihrer Genossinnen, die zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren, hat sie niemals vergessen. Ende der 1950er Jahre, als Neonazis Friedhöfe schändeten, initiierte sie mit dem BDFÖ ein Komitee von Frauen verschiedenster Weltanschauungen mit dem Ziel, besonders Jugendliche über die Zeit des Nationalsozialismus aufzuklären. In der Urania wurden von diesem antifaschistischen Frauenkomitee monatlich über 30 Jahre Filme gegen Rassismus und Krieg gezeigt, zu denen Schulklassen eingeladen wurden. Vor der Aufführung sprach jeweils eine Persönlichkeit zum Film. Grete Schütte war Initiatorin und Seele dieses Frauenkomitees. Bei zahlreichen Kongressen der Internationalen demokratischen Frauenföderation saß sie im Präsidium und war die geachtete Stimme Österreichs.
Am 18. Jänner 2000 ist Grete Schütte-Lihotzky gestorben. Sie bekam ein Ehrengrab der Stadt Wien am Zentralfriedhof.